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schmutzten Brief, den jemand mit einem rostigen Nagel brutal an das Holztor
genagelt hatte. Sein Inhalt nahm mich weiter für D. ein. Schrieb doch der Bür-
germeister des Ortes höchstpersönlich und leicht verzweifelt:
Liebe Mitbürger!
Die herrenlosen Katzen werden zur großen Plage. Sie vermehren sich sehr.
Manche, wie Frau N., füttern sie auch noch. Es geht so weit, dass sie im Rathaus
sogar auf die Stiegen des Sitzungssaals hinmachen. Und das ist nicht schön!
Der Appell enthielt mehrere Rechtschreibfehler, die ein höhnischer Tierfreund
mit Rotstift korrigiert und mit einem beißenden Kommentar versehen hatte.
Nach einem Spaziergang auf der idyllischen »Sommer- und Winterpromen-
ade«, die man im 19. Jahrhundert unterhalb der Stadtmauern angelegt hatte,
kehrte ich gut gelaunt in unser verträumtes Schloss zurück. Am Abend bot das
einzige Wirtshaus des Ortes eine erfreuliche Überraschung: weiß gedeckte Tis-
che, köstliche ländliche Speisen wie Waldviertler Knödel, Schopfbraten, Kno-
blauchsuppe und Mohnnudeln, dazu eine Fliegenklappe zum Erschlagen lästi-
ger Besucher. Die Konversation der Gäste auf der wunderschönen Terrasse mit
weitem Blick über Wiesen und Felder bis zum Horizont ließ uns aufhorchen.
Wir hatten ländlichen Dialekt erwartet, hörten jedoch nur gepflegtes Parlieren:
über Regieführung, Literaturereignisse und Kongresse für Quantenphysik. Das
Rätsel löste sich: »San olle, blede Weaner, de ham die oiten Heiser kauft!«,
klärte uns einer der seltenen, mit »Hoizfiren und Hoizschneiden« für den
rauen Winter beschäftigten Ureinwohner missbilligend auf. »Aner hat Staner
g suacht, a Deitscher, der is glei dobliebn!« Gemeint war ein Universitätspro-
fessor der Geologie aus Tübingen. Dieser hatte sich, überwältigt von der Fülle
der Fossilien, Muscheln und Haifischzähne, die er in dem vor zwanzig Million-
en Jahren am Rande eines Meers gelegenen Gebiet aufspürte, für immer in
einem der schönsten Häuser von D. niedergelassen. Überhaupt befand sich der
ganze Ortskern, wie wir erfuhren, fest in der Hand »zuagraster Spinner«, die
einen Filmclub betrieben und auf der Promenade nebst Hängematten allerlei
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»Kunst« genannte Objekte aufgestellt hatten. Sie hielten Lesungen ab und be-
nahmen sich auch sonst unverständlich!
Am darauffolgenden Morgen genossen wir bei strahlend schönem Wetter
einen der letzten Tage am Fluss und erlebten dabei die »zuagraste« Gesell-
schaft von D. aus nächster Nähe. Das Buffet auf der Liegewiese betrieb eine
höfliche junge Dame, Literatin und Nachfahrin des großen Generalissimus
Wenzel von Wallenstein, dem Oberbefehlshaber der kaiserlichen Streitkräfte
im Dreißigjährigen Krieg. Sie kochte ausgezeichnet.
Ein pensionierter Hofrat maß stündlich Wasserstand und Temperatur des
sanft dahinströmenden grünlichen Gewässers. Die Daten notierte er, ob der
Kapriolen des Waldviertler Wetters häufig den Kopf schüttelnd, sorgfältig in
einem Büchlein. Kinder tobten auf der Wiese, spielten beim rauschenden
Wehr, schwammen und paddelten in kleinen Kanus, betagte Damen in ebenso
betagten Badeanzügen räkelten sich auf vergilbten Liegestühlen in der Sonne,
Schönheiten in knappen Bikinis belebten das Strandleben  mit einem Wort,
das Szenario wirkte wie die filmreife Kulisse zu »Sommerfrische 1950« von Fe-
derico Fellini. Es fehlte nur noch die betörende Begleitmusik von Nino Rota.
Alle waren heiter und gelöst.
»Was habe ich dir gesagt?«, meinte Flo beifallheischend. »Ist es da nicht
traumhaft?« Und es gab, wie er ganz richtig vermutet hatte, in unserer Her-
berge kein funktionierendes Internet. Ich konnte mich davon selbst überzeu-
gen, als ich den antiquierten, in einem Winkel des Schlosses verborgenen Com-
puter mit der Aufschrift »Eine halbe Stunde  10 Schilling« benutzen wollte,
um den Stand meiner Aktien zu erfahren. Die Münze verschwand klirrend in
einer mit einem schweren Vorhängeschloss vor dem Zugriff böser Menschen
gesicherter Blechbüchse, doch das Gerät reagierte nicht. Auch das Handy hatte
nur sporadisch Empfang. Wir pflegten daher Erholung pur, verzichteten sogar
auf Zeitungen. Aber wir machten eine interessante Bekanntschaft, die den
Mangel an Publikationen und virtueller Kommunikation vollkommen ausglich.
Ein höflicher, distinguierter, gut gekleideter Herr mit beeindruckendem
grauem Cäsarenkopf und blendenden altösterreichischen Manieren, mit dem
wir zufällig ins Gespräch gekommen waren, lud uns am zweiten Abend unseres
Aufenthalts zu einem Drink in sein Vorgärtlein am Hauptplatz des Ortes. Er
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war, wie sich herausstellte, die Seele der Wiener Clique von D. In oder vor sein-
er einfachen, finsteren, aber strategisch günstig gelegenen Wohnung  er hatte
das ehemalige Milchgeschäft zu seinem Wochenenddomizil erkoren  hielt er
Hof, hieß jedermann bis in die frühen Morgenstunden willkommen und bewir-
tete alle.
Wir entspannten uns im Schein der untergehenden Sonne auf seiner Garten-
bank und gaben die neutralen Beobachter. Hochinteressante, aber exzentrische
Typen, lauter großstädtische »Zuagraste«, schlenderten vorbei, setzten sich
dazu, blieben ein Weilchen. Ihre mit pikantem lokalem, teils bösartigem
Tratsch gewürzten konträren Weltanschauungen  das Spektrum reichte von
extrem rechts bis extrem links  entluden die meist akademisch gebildeten
Herrschaften in wilden Diskussionen. Cäsar wirkte besänftigend. Uns erzählte
er lächelnd, dass er bereits seit seiner Geburt, ja sogar schon kurz davor, die
Ferien stets hier in der Sommerfrische verbracht habe. Endgültig dieser ro-
mantischen Stätte vieler Kindheitserlebnisse verfallen sei er jedoch, als er in D.
eine in der Modebranche tätige attraktive Verehrerin des Philosophen Ludwig
Wittgenstein kennenlernte und sie heiratete.
Jeden Nachmittag frequentierten wir das einzige Café des Ortes. Dessen Bes-
itzer, ein junger Mann mit aufmerksamem Blick, war, wie uns schnell klar
wurde, kein Freund seiner Mitmenschen. »Na, kochen tua i net für die Leit!«
war sein Motto, mit dem er die Speisekarte auf ein Mindestmaß an köstlichen
Torten beschränkte. Die Äußerungen seiner Gäste registrierte er genau. Ver-
nahm oder vermutete er nur den Schatten von Kritik an seiner Person oder
seiner Geschäftsführung, verwies er sie unverzüglich des Lokals. Dies geschah
auch, wie man uns berichtete, wenn sich jemand der Not gehorchend, wie etwa
bei einem Wolkenbruch, »ohne Konsumation« in seinem Lokal unterzustellen
wagte.
Als passionierter Mykologe fand der Inhaber des »Mohncafés« jedoch an Flo
Gefallen. Gnädig erteilte er ihm seinen fachlichen Rat, mich duldete er. Am
misstrauischen Aufflackern seiner Augen erkannte ich aber deutlich, dass ich
mich haarscharf am Abgrund bewegte, als ich mich harmlos als Waldviertlerin
zu erkennen gab und meinte: »Auch meine Mohntorte ist gut, sehr saftig, ich
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hab das Rezept von meiner Großtante!«  »Wird sitzenblieben sein, Ihr
Kuchen!«, erklärte er streitlustig die Saftigkeit meiner Backkunst.
Mein Freund graste nach dem Ratschlag des Cafétiers die Schwammer-
lplätze der Umgebung von D. ab. Manchmal ging ich mit, oft jedoch blieb ich [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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